Seit dem frühen Donnerstagnachmittag hat René Geißler recht. Der auf Kommunalfinanzen spezialisierte Ökonom konstatierte bereits vor einigen Wochen im Interview mit competitionline: „Die sechs Milliarden werden nicht ausreichen.“ Gemeint waren die 5,8 Milliarden Euro, die der Bund den Kommunen zukommen lassen will, damit der historische Einbruch ihrer Steuereinnahmen abgefedert wird. Die Hoffnung dabei: Die Länder verdoppeln die Summe auf knapp zwölf Milliarden Euro.

Doch zeitgleich, während das „Gesetz zur finanziellen Entlastung der Kommunen und der neuen Länder“ den Bundestag passiert, wird klar: Das alles wird hinten und vorne nicht reichen, um Corona-Schäden in den Kommunen abzuwenden – die Kommunen, die in Deutschland gut 60 Prozent des öffentlichen Baus stemmen und somit auch einen Großteil der Planungsausschreibungen stellen.

Außerplanmäßig hat in der vergangenen Woche der Arbeitskreis Steuerschätzung im Bundesfinanzministerium getagt. Dies war notwendig, weil die finanzielle Lage bei der letzten Steuerschätzung zur Hochzeit der Corona-Pandemie im Mai dem berühmten Stochern im Nebel glich. Ergebnis der neuen Beratungen: Die Kommunen nehmen erst 2024 wieder so viele Steuern ein wie vor der Corona-Krise.

 

Dass die Prognose des Bundesfinanzministeriums nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt der Blick aufs erste Halbjahr. Nach competitionline-Berechnungen gingen die Gewerbesteuereinnahmen der rund 11.000 deutschen Kommunen zwischen Januar und Juni um historische 26,8 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro zurück. Am härtesten traf es NRW. Hier betrug das Minus allein im zweiten Quartal 43,5 Prozent. Im Jahresverlauf ist das Gewerbesteueraufkommen normalerweise im zweiten Quartal am höchsten.

Doch das Problem sind nicht nur die ausbleibenden Einnahmen, die spätestens seit der Gewerbesteuer-Vorauszahlung im Mai nicht mehr zu leugnen sind. Nach und nach trudeln die Jahresabschlüsse der örtlichen Betriebe aus dem vergangenen Jahr bei den Finanzämtern ein – es drohen milliardenhohe Rückzahlungen, die die Haushalte der Kommunen weiter schröpfen.

Neubau und Sanierung von 28 Altenheimen gestoppt

Das hat bereits jetzt gravierende Folgen – auch für Planer*innen. Bereits nach der ersten Steuerschätzung im Mai sperrten Dutzende Kämmerer*innen die Haushalte ihrer Kommunen. Denn ist der Finanzplan nicht mehr im Gleichgewicht, muss eine Kommune alle ihre Investitionen auf den Prüfstand stellen. Das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) konstatiert angesichts des Einnahmelochs in einer Studie, dass Länder und Kommunen „besonders hart“ von der Krise getroffen sind.

Einnahmen der Kommunen

Die Finanzsituation der deutschen Kommunen unterscheidet sich stark. Allen gemein ist, dass sie ihre Einnahmen vor allem über zwei Steuerarten generieren: zum einen die Gewerbesteuer, die auf den Gewinn ortsansässiger Unternehmen erhoben wird, und zum anderen die Grundsteuer. Hinzu kommen unter anderem Anteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer sowie kommunale Gebühren (beispielsweise für die Abfallentsorgung) und Erträge (beispielsweise Immobilienverkäufe).

 

So summierten sich die Einnahmen der Gemeinden im vergangenen Jahr auf rund 251 Milliarden Euro – allerdings entfällt fast ein Drittel davon auf den wirtschaftsstarken Süden. Die Ost-Bundesländer mit ihren vielen kleinen Handwerksbetrieben haben das Nachsehen. Damit die Unterschiede innerhalb eines Bundeslands nicht zu hoch sind, füllen die Länder nach einem festgesetzten Schlüssel die Haushaltslücken ihrer Kommunen teilweise mit Steuermitteln auf. Dies ändert jedoch nichts daran, dass viele Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland hoch verschuldet sind. Die Bertelsmann-Stiftung konstatierte im vergangenen Jahr, dass die Lücke bei der Finanzkraft vieler Kommunen mit der Zeit immer größer geworden ist.

Im Rheinland sind wegen der Haushaltssperren bereits der Neubau bzw. die Sanierung von 28 Altenheimen ausgesetzt worden, im hessischen Münster wurde die Neugestaltung des Rathausplatzes vorerst gestoppt, und in Heidelberg hat Baubürgermeister Jürgen Odszuck neuen städtebaulichen Projekten erst einmal eine Absage erteilt. Dass seit dem Hochsommer die Zahl der Kommunen, die ihren Haushalt sperren, nicht weiter ansteigt, ist da nur ein kleiner Trost.

Hilfen von Bund und Ländern

Doch eigentlich sollte es nie so weit kommen. Zum einen ist da der gigantische Rettungsschirm von Bund und Ländern, mit denen der Ausfall der Gewerbesteuer pauschal kompensiert werden soll. Hinter der Idee versammeln sich reihenweise Expert*innen. „Diese Gesetzesinitiativen sind (…) richtig und notwendig“, schreibt zum Beispiel der Ökonom Jens Südekum in einer Stellungnahme an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Nur: „Der anvisierte Rettungsschirm für die Kommunen kann sich bei einem schweren Verlauf der Krise als unzureichend erweisen.“

Und was ist eigentlich im nächsten Jahr? Das nun ins Parlament eingebrachte Rettungspaket für die Kommunen zielt lediglich auf 2020. Vor Jahresende jedoch wird das Geld nicht fließen. Oppositionspolitiker*innen tun sich schwer damit, nun einfach neue Hilfen zu fordern. „Notwendige Investitionen dürfen nicht auf der Strecke bleiben, und auch dafür gab es die notwendigen Gelder vom Bund“, sagt die FDP-Kommunalpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Inwiefern und in welchem Rahmen weitere Hilfen notwendig sind, wird bei uns momentan noch diskutiert. Auf der anderen Seite hilft es nicht, einfach mit der Gießkanne mehr Geld zu verteilen.“

Kommunalpolitikerin Strack-Zimmermann: Geld nicht mit der Gießkanne verteilen

Kommunalpolitikerin Strack-Zimmermann: Geld nicht mit der Gießkanne verteilen

Bund und Länder kompensieren im Corona-Jahr nicht nur Gewerbesteuerausfälle. Zum anderen – und schneller, da unbürokratischer – können die Länder ihren Kommunen helfen. NRW hat im Frühsommer erlassen, dass kein*e Kämmerer*in wegen Corona seinen/ihren Haushalt sperren muss. Fünf Länder – Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen – sind dem Beispiel aus dem Westen gefolgt und haben Erleichterungen im Haushaltsrecht für die eigenen Kommunen erlassen.

 

Geißler spricht heute von einem „sachgerechten Schritt“, den NRW gemacht habe. Ein Schritt, den die Länder in zurückliegenden Krisen wie zuletzt 2010 versäumt hätten. „Damals hatte man darauf gehofft, dass die Kommunen das schon hinkriegen würden. Das ist jetzt anders, vermutlich weil die Krise eine andere Qualität hat und die Kämmerer*innen nicht irgendwelchen unerreichbaren Zielen hinterherhecheln sollen.“ Der Experte geht davon aus, dass in der näheren Zukunft alle Länder entsprechende Regelungen wie NRW und Co. erlassen – ohne könne die Krise nicht weitestgehend schadlos überstanden werden. Wir erinnern uns: Geißler hatte schon einmal recht.