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Städtebaulich-landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb mit Ideenteil | 04/2024

Experimentierräume nachhaltiger Stadt- und Quartiersentwicklung in Wiesbaden-Klarenthal

Blick Haus Carlo

Blick Haus Carlo

1. Preis / Realisierungsteil

Preisgeld: 24.000 EUR

hartlockstädtebau

Stadtplanung / Städtebau

Molestina Architekten + Stadtplaner GmbH

Architektur

Simon Quindel

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Städtebauliche Leitidee
Es entsteht das lebenswerte Quartier `GRÜN GEWINNT` Klimagerecht Leben im Klarenthal.
Die vorhanden städtischen Anknüpfungspunkte und freiräumlichen Verflechtungen, der Grundstock an Grün, insbesondere der alte Baumbestand, wie auch das Gebäude der ehemaligen Carl-von-Ossietzky-Schule bilden die Ausgangspunkte für die Entwicklung. Zu den Merkmalen des Konzeptes zählen:

  • die Aufnahme und Weiterführung der Landschaftsräume und grünen Täler des Taunus hinein nach Klarenthal, ins neue Quartier und in die Stadt, so entsteht das vernetzende Freiraumband Taunus Carlo
  • die Sicherung des Baumbestandes, des Baumverbundes und des grünen Wohnumfeldes, so bleiben der grüne Rahmen und Klimapuffer für das Quartier bestehen und im südöstlichen Teilbereich entsteht ein erlebbares Naturwäldchen
  • die Entwicklung einer Quartiersmitte als nachbarschaftliches, kommunikatives Herz des Quartiers, auch für Klarenthal
  • die Öffnung des Quartiers durch die Einbindung des Klosterwegs und somit der Verankerung im mental map Klarenthals bis hin zum Stadtteilzentrum und die Etablierung eines Eingangsbereiches an der Ernst-von-Harnack-Straße
  • die Einbindung des Gebäudes der ehemaligen Schule mit identitätsstiftender Prägung und Nutzung, hier entsteht das Haus Carlo mit KiTa und Wohnungen
  • die Ausbildung einer klaren städtebaulichen Figur mit räumlichen Gelenkpunkten, Raumkanten und Akzenten, einer verträglichen urbanen Dichte, stadtbelebenden Erdgeschossnutzungen und flexibel gestaltbaren Wohnen

Hochbauliches Konzept
Entsprechend der Lagewertigkeiten und der Topografie positionieren sich die Neubauten gezielt dort, wo entweder keine Bäume bestehen oder der Eingriff gering ist. Eine Profilierung von gut zu entwickelnden kompakten Baukörpern mit klaren Raumkanten, baulichen Akzenten und vielseitigen Wohntypen im Grünen wird so Rechnung getragen. Zu den Merkmalen des Konzeptes zählen:

  • die Entwicklung von lang- und kurzgestreckten, kompakten Gebäuderiegeln, einer Punktbebauung und einem Mobilitycube
  • die Entwicklung einer vielseitigen Höhenentwicklung von IV bis VII Geschossen
  • die Ausbildung von lebendigen Erdgeschossen mit quartiersbezogenen Angeboten
  • die Vermeidung von Kellergeschossen, um den Eingriff in die gewachsene Topografie und den Einsatz von Stahlbeton zu minimieren
  • die Gestaltung der Baukörper als Flurwohnungsbau mit innenliegender, versetzter Gangerschließung, Bewegungsflächen und Kooperationsräumen zur gemeinschaftlichen Nutzung auf allen Ebenen
  • die Ausbildung von unterschiedlichen Wohnungsgrößen und flexibel gestaltbaren Grundrissen mit einer hohen Tageslichtausbeute für Wohn- und Aufenthaltsräume
  • die Zuordnung von privaten Freiräumen in Form von Terrassen oder Balkonen, die individuell angeeignet werden und so das Fassadenbild prägen
  • die Entwicklung von 230 Wohnungen
  • das 5x5 m Raster erlaubt einen klimagerechten Holzskelettbau und ein hoher Vorfertigungsgrad der Fassadenelemente in Holzrahmenbauweise steigert die Wirtschaftlichkeit
  • begehbare Dachflächen mit Angeboten wie Sport, Gärtnern und Freizeit, machen das Gebiet auf unterschiedlichen Ebenen erlebbar

Grün- und Freiraumkonzept
Die Struktur des Quartiers baut auf den freiräumlichen Begabungen sowie den klima- und naturschutzplanerischen Rahmenbedingungen auf und wird durch eine klare Ausbildung von Funktionen geprägt. Es sind der alte Baumbestand und die Grünräume, die von Anfang an dem Quartier seine besondere Prägung und Entwicklungspotenzial geben. Zu den Merkmalen des Konzeptes zählen:

  • der Erhalt der Baumbestände (inkl. Sperberbaum), des Klimapuffers, des Naturwäldchens und der Berücksichtigung der Durchlüftung mit Kaltluft
  • die Ausbildung einer grünen Quartiersmitte unter Berücksichtigung der Topografie mit Anbindung an den Klosterweg, der Carl-von-Ossietzky-Straße und der Anne-Frank-Straße
  • die Gestaltung der Quartiersmitte mit sehr hoher Aufenthaltsqualität, um alle zentralen Nutzungen des Quartiers zu versammeln; ein Wasserfontänenfeld sorgt für Abkühlung, Platzbänke und Lounge Möbel laden zum Verweilen ein; Terrassen für Außengastronomie und die anliegenden Spielplätze beleben
  • den Raum zu jeder Jahreszeit; alle Ebenen der bewegten Landschaft sind barrierefrei zu begehen
  • die Entwicklung eines Klimaplatzes, in mitten der lebendigen Waldstruktur, dieser öffnet sich zur zentralen Lichtung
  • die behutsame Entwicklung von Wegen, Spiel-, Aufenthalts- und Ruheflächen
  • die Ausbildung von wegebegleitenden Retentionsmulden, insbesondere die Ausbildung der Freiflächen nach dem Prinzip der Schwammstadt, um Regenwasser im Quartier zu sammeln, zwischenzuspeichern und für eine abkühlende Verdunstung wiederzuverwenden
  • die Gestaltung der Dächer im Wechselspiel als extensive und intensive Gründächer, auch zum Speichern von Regenwasser in Form von Zisternen für die Grünflächen, in Kombination mit einer Ausstattung an PV-Anlagen

Erschließungskonzept
Der Erschließung des Quartiers liegt ein ausgewogenes Verkehrssystem zugrunde, das allen Verkehrsarten einen ihrer Bedeutung angemessenen Raum lässt, dabei aber besonderen Wert auf eine nachhaltige Erreichbarkeit und Mobilität legt. Zu den Merkmalen des Konzeptes zählen:

  • die Anbindung an das vorhandene Fuß- und Radwege- und Erschließungsnetz, insbesondere an den Klosterweg, die Carl-von-Ossietzky-Straße und der Anne-Frank-Straße
  • die autofreie Erschließung mit kurzen, abwechslungsreichen Wegen und einer wirtschaftlichen Infrastruktur, den zu Fuß gehenden und Rad fahrenden Menschen wird Vorrang eingeräumt
  • die Entwicklung eines Mobilitycubes als Quartiersgarage mit ergänzenden quartierbezogenen Nutzungen, um den Raum im Quartiersinneren von ruhenden Verkehr freizuhalten und so eine höhere Aufenthaltsqualität zu erreichen
  • der Anbindung an das ÖPNV Netz über die Haltepunkte an der neuen Carl-von-Ossietzky-Schule und der potenziellen Anbindung an das SPNV Netz durch die Reaktivierung der Aartalbahn
  • der Erreichbarkeit der Unterflur-Container auf kurzen Wege

Umgang mit dem Bestandsgebäude Carl-von-Ossietzky-Schule
Das Haus Carlo, die ehemalige Carl-von-Ossietzky-Schule, ist identitätsstiftend für das Quartier und die robuste Struktur lässt eine einfache Umstrukturierung der inneren Organisation zu. Zu den Merkmalen des Konzeptes zählen:

  • die Dachflächen werden der Gemeinschaft zugänglich gemacht
  • eine stark gemeinschaftlich programmierte Erdgeschosszone machen es zu einem Gebäude von öffentlichem Interesse
  • die mittlere Durchdringung verbindet über einen Freiraumaufzug die beiden Außenraumebenen
  • die einfache Aufstockung in leichter Holzbauweise des bestehenden Hochpunktes nimmt Rücksicht auf das schwach dimensionierte Tragwerk des Bestands und lässt Kapazität für extensivintensiv begrünte Dächer
  • die Entwicklung von 40 Wohnungen
  • der Entwicklung einer KiTa Carlo mit einer Fläche von 1.000 qm BGF und einem etwa 1.000 qm großen Dachgarten

Erläuterung zur Nachhaltigkeit der Konzeption
Die „Spielregeln für eine nachhaltige Quartiersentwicklung“ der Landeshauptstadt Wiesbaden sind planerische Grundlage. Die darin genannten Ziele und angedachten Maßnahmen finden im Konzept - `GRÜN GEWINNT` Klimagerecht Leben im Klarenthal - Berücksichtigung. Die wesentlichen Aussagen des Konzepts zur Nachhaltigkeit sind in den oben aufgeführten Abschnitten bereits stichwortartig genannt. Das neue lebenswerte Quartier - `GRÜN GEWINNT` Klimagerecht Leben im Klarenthal - versteht sich als ganzheitliches Konzept, das vielseitiges Wohnen, lebendige, bunte Nachbarschaften, klimaoptimiertes Stadtgrün, ein sensibles und durchdachtes Wassermanagement, erneuerbare Energien und innovative Architektur sowie eine auf die Zukunft ausgerichtete Mobilität miteinander kombiniert und Angebote über das Quartier hinaus für Klarenthal schafft.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das städtebauliche Leitbild besteht in einer Trilogie von Wohngebäuden und einem sogenannten Mobilitycube, die sich um eine Quartiersmitte formieren. Dabei werden zwei langgestreckte Baukörper entlang des Klosterweges positioniert und teilweise in die Topographie eingebunden. Dadurch wird die Nord- West-Achse stadträumlich und klimatisch gestärkt und ein Großteil der Gebäudesubstanz ohne Inanspruchnahme der Grünen Mitte geschickt positioniert. Der verbleibende Solitär wird zwar minimalinvasiv
in die vorhandene Lichtung gesetzt, dafür aber nimmt der »Mobilitätswürfel« sehr viel Raum und Fläche in Anspruch. Der angebotene Parkraum für MIV und Fahrräder ist ausreichend, allerdings aufgrund der vergleichsweisen geringen Grundfläche mit mittlerer Effizienz. Dennoch vermag die EG-Nutzung mit quartierwirksamen und kommerziellen Nutzungsangeboten (Werkstätten und Gastro) die Bespielung des Quartiersplatzes erfüllen und die soziale Infrastruktur befördern. Die vorgeschlagene Sportnutzung auf der Dachfläche kann ebenfalls als eine Bereicherung des Nutzungsangebotes gewertet werden.

Die Wohnbauriegel an der Westseite stellen eine kompakte und effiziente Bauweise dar, werden aber für die jeweils einseitige Orientierung der Wohnungen in Ost- oder Westrichtung kritisiert. Die recht großen Erschließungs- und Gemeinschaftsflächen werden in Hinblick auf die soziale Kontrolle hinterfragt.

An der Nordostecke des Wettbewerbsgebietes positionieren die Verfasser:innen einen weiteren 6-geschossigen Wohnungsbausolitär, der einen gelungenen städtebaulichen Auftakt von der Ernst-von-Harnack-Straße bildet und die Freiraumqualität in Verbindung mit dem umgebauten Schulgebäude stärkt.

Der Fokus in Bezug auf das ehemalige Schulgebäude liegt im Bestandserhalt bzw. in der Bestandsentwicklung, indem nahezu die gesamt Bausubstanz einem Umbau zugeführt wird. Im Sinne eines klimagerechten Städtebaus wird dieser Ansatz ausdrücklich begrüßt. Die Nutzungsmischung mit größtenteils gemeinschaftlichen und öffentlichen Angeboten wie Co-Working, Jungendwerkstatt sowie einem Repair-Café und nach Süden angeordneten Wohntypologien wird zwar begrüßt, wird aber Nutzungskonflikte zwischen
dem Wohnen im UG und der Kita im EG verursachen. Zudem wird die Außenfläche der Kita auf der Dachfläche in Hinblick auf Verschattung, Spiel- und Erlebnisqualität und die Integration der Oberlichter der Wohnungen sehr kritisch gesehen.

Durch den städtebaulichen Footprint kann der wertvolle Baumbestand größtmöglich erhalten werden. Das »Wäldchen« wird lediglich mit einer behutsamen Durchwegung nach Süden erschlossen. Der Verbleib und der Zugewinn an qualitätvollen Grünräumen, der im Sinne einer dreifachen Innenentwicklung zum Grünverbund langfristig beitragen kann, wird als Identifikationsmerkmal der Arbeit herausgestellt. Dadurch entsteht ein Refugium für Flora und Fauna, das den Menschen als Gast in einem urbanen Biotop
erscheinen lässt. Lediglich die in diesem Bereich angedeuteten Nutzungen für Abenteuerspielplätze, die nur textlich benannt sind, trüben die Qualität dieses Ansatzes. Aufgrund der gewählten Gebäudekonfiguration werden Einschränkungen der Ventilations-, und Klimaleitbahnen diskutiert.

Die Freiraumerschließung, die stets die Quartiersmitte tangieren, sind nachvollziehbar und städtebaulich logisch mit den Nachbarquartieren arrondiert. Dennoch wird die Barrierefreiheit aus Sicht des Preisgerichtes nicht in allen Teilen gewährleistet. Insbesondere die Durchwegung von Nord nach Süd hinterlässt Fragen. Retentionsräume, die dem Leitbild eines wassersensiblen Freiraumlandschaft folgen, sind grafisch vage angedeutet und müssten im Rahmen einer vertieften Planung konkretisiert werden.

Eine modulare und flexible Umsetzung ist denkbar und realistisch. Die ökonomische Qualität bei der Fortentwicklung des Bestandes wird aufgrund der hohen gemeinschaftlichen Nutzungsflächen kontrovers diskutiert.

Insgesamt stellt die Arbeit einen wertvollen Beitrag zu dem klima- und quartierssensiblen Entwurfsansatzes dar, der einen städtebaulichen und soziokulturellem Mehrwert für den Stadtteil Klarenthal leisten kann. Trotz den fast unvermeidlichen Ambivalenzen zwischen Ökologie und Ökonomie wird die Aufgabenstellung im Sinne eines Experimentierraumes in sehr weiten Teilen erfüllt.
Freiraumverbindung Klosterweg/Quartiersmitte

Freiraumverbindung Klosterweg/Quartiersmitte

Schwarzplan

Schwarzplan

Grünanlagen und Dachaufsicht

Grünanlagen und Dachaufsicht

Grundrisse

Grundrisse

Geländeschnitte

Geländeschnitte