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Nichtoffener Wettbewerb | 04/2024

Neubau Justizzentrum Köln

1. Preis

Preisgeld: 442.400 EUR

HPP Architekten GmbH

Architektur

ahw Ingenieure GmbH

Tragwerksplanung

ZWP Ingenieur-AG

TGA-Fachplanung

hhpberlin - Ingenieure für Brandschutz GmbH

Brandschutzplanung

KRAFT.RAUM.

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Zeitgemäße Nutzung: Horizontale Gebäudeausrichtung ohne Hochpunkt
Der städtebauliche Entwurf von HPP überraschte bereits 2022 im städtebaulichen Wettbewerbsverfahren mit einem Konzept ohne Hochhaus. Die architektonische Ausarbeitung im hochbaulichen und freiraumplanerischen Realisierungswettbewerbs baut auf dem Konzept von 2022 auf und konzentriert sich auf die Vorteile einer horizontalen Nutzungsverteilung in fünf leicht gegeneinander versetzten Gebäudekuben. Das neue Justizzentrum, das als größtes Justizzentrum des Landes NRW gilt, soll direkt an der Luxemburger Straße entstehen. Durch eine Höhenstaffelung von fünf bis sieben Geschossen fügt sich der Entwurf sensibel und maßstäblich in das heterogene städtebauliche Umfeld ein. Auch der angrenzende Freiraum wurde neu konzipiert: als harmonisches Bindeglied zwischen der südlichen Stadtstruktur und dem nördlichen Inneren Grüngürtel. Die horizontale Organisationsstruktur bietet eine vielfältige und räumlich hochwertige Vernetzung der unterschiedlichen Funktions- und Arbeitsbereiche und schafft alle Voraussetzungen moderner Arbeitswelten mit New Work-Flächen sowie Räumen für informelle Kommunikation. Das bestehende und 1981 eröffnete Justizhochhaus für das Amts- und Landgericht Köln entspricht heute weder den funktionalen Anforderungen an ein Justizgebäude, noch ist die bauliche Substanz für einen weiteren Erhalt geeignet.

Der zentrale Stadtbaustein steht für Klarheit und Transparenz
Als öffentliche Institution soll das neue Justizzentrum Klarheit und Transparenz vermitteln und die Justiz unmittelbar in das öffentliche Leben einbinden. An der Hans-Carl-Nipperdey-Straße befinden sich Amts- und Landgericht, Zivil- und Strafsitzungssäle sowie die Staatsanwaltschaft. Der Baukörperversatz lässt ein Wechselspiel zwischen bebautem Raum und Grünraum entstehen, durch das Zurücksetzen der Kubaturen an der Hans-Carl-Nipperdey-Straße entsteht ein zentraler Vorplatz zum Übergang an der Luxemburgerstraße. Das eingerückte Erdgeschoss bildet einen zentralen Haupteingang, über den die Besucher in ein großzügiges, zweigeschossiges Foyer gelangen. Dort befindet sich der Informationsbereich, die Wartezone, der Zugang zur Rechtsantragstelle sowie die Kantine, die unmittelbar an einem begrünten Innenhof liegt.

In den Obergeschossen befinden sich die Zivil- und Strafsitzungssäle mit der Staatsanwaltschaft und dem Land- und Amtsgericht, die durch eine Magistrale verbunden sind. Die Straf- und Zivilsitzungssäle bilden den Mittelpunkt des Justizzentrums. Durch die transparente Fassadengestaltung und die Möglichkeit von Ein- und Ausblicken wird ein Höchstmaß an Bürgernähe vermittelt. Die Bürogeschosse von Land- und Amtsgericht sind klar voneinander getrennt - am Schnittpunkt der beiden ringförmig organisierten Bereiche weitet sich die Struktur zu einem Dreibund mit Begegnungszonen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit besticht in ihrer städtebaulichen Setzung, verfolgt und interpretiert die Vorgaben der städtebaulichen Rahmenplanung konsequent weiter: Eine zweigeteilte Struktur aus fünf Blockringen – einmal zwei, einmal drei miteinander verschnitten – ist so angeordnet, dass nicht nur eine spannungsreiche Grundrissfigur im Lageplan entsteht, sondern dass auch für den Stadtraum und vor allem für den angrenzenden Park eine gegliederte Raumkante mit unterschiedlich proportionierten Volumen gegeben ist: Ein mittiger Hauptbaukörper hebt sich als Eingangs- und Sitzungsgebäude wohltuend an der Schnittstelle zwischen dem 1. und 2. Bauabschnitt ab. Seine Kompaktheit im Grundriss, seine großzügige Fassadengliederung und ein zusätzliches 6. Geschoss verleihen dem mittleren Gebäude die Kraft und Präsenz, die man sich zur Akzentuierung des Ensembles und seiner Adressierung wünscht. Folgerichtig liegen auch alle öffentlichen Eingangsfunktionen gebündelt in diesem Hauptgebäude: Eine Reihe von Schleusen bildet den Filter zu einer quergelagerten Halle, die auch das angrenzende Gebäude mit den Strafsitzungssälen und in der Folge auch die östlichen Baukörper mit der Staatsanwaltschaft erschließt. Die Anbindung nach Westen in die beiden Blöcke des Amts- und Landgerichts erfolgt über eine Brücke, die schlüssig aus der oberen, das Gebäude durchziehenden Foyerebene entwickelt ist. Die gewählte Gebäudetypologie und Grundrissorganisation mit angemessenen Gebäudetiefen, mit ausgewogenen Flurzonen und mit guten Büroraumtiefen verspricht ein hohes Maß an Funktionalität und Flexibilität.

Eine gute Erschließung und Orientierung sind gegeben. Brandabschnitte und Nutzungseinheiten können ausgebildet werden, wenn auch an einigen Stellen aus Brandschutzgründen die Größe der notwendigen Treppenräume und einige Fluchtweglängen nicht auskömmlich erscheinen. Auch wichtige Funktionalitäten, wie die Vorführwege in alle Strafsäle, sind unzureichend nachgewiesen, ferner einige der Anlieferungsbeziehungen zur Ver- und Entsorgung; Technikflächen sind ebenso nicht nachvollziehbar dargestellt. Im Preisgericht intensiv diskutiert wird das räumliche und architektonische Konzept der Sitzungssäle: Als große Qualität wird gesehen, dass alle Säle mit Tageslicht den geschützten Höfen zugeordnet sind und dass die Erschließungs- und Wartebereiche als „Ringe“ angelegt sind. So entstehen nicht nur sehr attraktive Erschließungszonen, sondern das Hauptgebäude enthält nach außen den Charakter, den man sich für eine offene und bürgernahe Justiz wünscht: Transparenz und Vielschichtigkeit, die mit der vorgeschlagenen Fassade auch sehr gut einhergeht. Wenngleich hier aber auch Beachtung finden muss, dass bei aller Offenheit auch eine gewisse Vertraulichkeit zu berücksichtigen sein wird. So werden bei dem hohen Verglasungsanteil der Sitzungsgebäude im Preisgericht weitere Bedenken gesehen: Auch die Gefahr der sommerlichen Überhitzung und auch der hohe Reinigungs- und Wartungsaufwand, der mit dieser Fassade verbunden ist. Die angrenzenden Flächen wären sicherlich aufwendig raumlufttechnisch zu versorgen. Hier fehlen dem Preisgericht Vorschläge, die gerade bei der für die Sitzungssäle angedachten Beton- / Massivkonstruktion mögliche Optimierungen (z.B. durch eine Betonkern- oder Speichermassenaktivierung etc.) aufzeigen. Die geplanten abgehängten Decken oder hölzerne Wandverkleidungen wären hier eher kontraproduktiv. Bei den Bürogebäuden findet im Preisgericht die gewählte Hybrid-Konstruktion oberhalb des Sockels – mit Vollholz-Balkendecken und Leichtlehm-Elementausfachungen – Interesse. Auch deren Fassadengliederung, wenn auch mit einem etwas zu hohen Verglasungsanteil – mit kleinteiligen Öffnungsflügeln und außenliegenden Verschattungselementen findet weitgehenden Zuspruch. Kritisch diskutiert wird grundsätzlich der Fensterflächenanteil der Hüllkonstruktionen. In den Einzelbüros ist der Anteil transparenter Fassadenanteile im Verhältnis zur geringen Grundfläche für das sommerliche Verhalten problematisch. Dies betrifft vor allem die für die Tageslichtversorgung eher irrelevanten Brüstungsbereiche. Ebenso verhält es sich mit der nahezu Vollverglasung der Fassaden im Gebäude der Sitzungssäle. Hierin wird jedoch ein sehr hohes Potential für ein innovatives Klimakonzept im Sinne einer Haus-in-Haus Konstruktion gesehen, welches die Flure als Pufferzonen nutzen könnte. Möglichkeiten zur natürlichen Lüftung dieser Fassaden ebenso wie die im Schnitt gegliedert dargestellten Öffnungselemente der Büros bleiben in der Ausformulierung unbeantwortet. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang die Umsetzbarkeit einer Nachtlüftung. Die schweren Bauteile bieten ein hohes Potential zur Optimierung der Lastgänge, daher werden die Abhangdecken kritisch diskutiert. In den Verwaltungsbereichen ist die Tragstruktur durch eine Stahlbetonkonstruktion in den Untergeschossen bis einschließlich zur Decke über Erdgeschoss vorgeschlagen. Nachwachsende Rohstoffe in Form von einer Holz-Lehm-Konstruktion (Vollholzbalken- Decke mit Ausfachung von Leichtlehm-Elementen und Gewindestange) finden in den Obergeschossen Verwendung. Im Sitzungsbereich ist ein außenliegendes Stahlbeton-Tragwerk mit Stahlbetondecken geplant, welches bauphysikalisch Herausforderungen hinsichtlich der Wärmebrücken stellt. Im Sitzungsbereich ist ein Deckenaufbau mit Magnesiaestrich angegeben, auch Steinholz genannt. Durch den Anteil der biotischen Materialien ist der Aufbau nicht sortenrein zu recyceln und wird nach derzeitigem Wissenstand deponiert, was das schlechteste End-of- Life Szenario ist. Im Holzbau kann jedoch durch den geplanten Trockenestrich von einem lösbaren Aufbau ausgegangen werden. Es ist eine EPDM-Abdichtung auf dem Dach vorgesehen. Da diese lose verlegt wird, ist davon auszugehen, dass der Dachaufbau zirkulär geplant ist. Die Arbeit gibt in der Verzahnung von städtebaulichen, architektonischen und freiräumlichen Fragestellungen gesamtheitliche, synergetische Antworten. Das Zusammenwirken wird im Außenraum durch Bereitstellung größerer zusammenhängender Grünflächen mit Durchquerungen, Aufenthaltsflächen, Flächenretentionen (Wasseranstauflächen) und ökologisch wirksamer Orte als große Qualität erkannt. Die Entwurfsverfasser respektieren akribisch das ausgewiesene Plangebiet und entwickeln in intelligenter Art und Weise ein schlüssiges System von Anknüpfungen sowohl auf der westlichen Grundstücksseite an der Luxemburger Straße als auch am Grüngürtel im Bezug zum Haupteingang. Hier wird durch eine geschickte Aufnahme des vorgegebenen Parkentwurfs des Inneren Grüngürtels eine eingedrehte Platzintarsie implantiert, die zwischen dem künftigen Justizzentrum und dem Grüngürtel vermittelt und dabei Aufenthaltsqualitäten schafft.

Inwieweit sich die großen „Tiefbeete“ als Regengärten unter Berücksichtigung der Erschließung (auch zu dem anschließenden Fahrradabstellraum) realisieren lassen, wird in ihrer Formatigkeit zwar kritisch diskutiert, jedoch grundsätzlich als schlüssig erachtet. Bedingt durch die städtebauliche Setzung, den westlichen Gebäudekörper dicht an die Luxemburger Straße zu lagern, entsteht ein schmaler Korridor südlich der TG-Zufahrt. Damit wird die Attraktivität der Verbindung zwischen Luxemburger Straße und Haupteingang als problematisch erachtet. Die Alternativroute südlich des Amts- und Landgerichts und dann durch die städtebauliche Fuge ist semiattraktiv. Die Innenhofgrößen und -ausstattungen erscheinen qualitativ proportional und inhaltlich angemessen. Es wird gesamtheitlich ein sehr schlüssiges, weitsichtiges und zukunftsfähiges Freiraumsystem dargelegt, welches insbesondere durch die Verzahnung mit all seinen Nachbarschaften ein gutes Fundament einer Ausarbeitung böte.