Den Jahreswechsel verbrachte ich mit meiner Familie auf der Dachterrasse unserer Genossenschaft. Obwohl ich mir Mühe gab, Feierlaune aufkommen zu lassen, schlurfte ich mehr ins neue Jahr, als dass ich hinüber rutschte. Ich war einfach ein bisschen abgestumpft von einem außergewöhnlichen, ach, sagen wir es ruhig laut: einem stellenweise echt beschissenen Jahr. 

Homeoffice: manchmal schön, manchmal furchtbar anstrengend...

Homeoffice: manchmal schön, manchmal furchtbar anstrengend...

Meiner Frau ging es nicht viel anders, auch nicht Freunden und Bekannten, die ich in den folgenden Tagen sprach. Wir sind erschöpft von daheim zu beschulenden Kindern, hin und her schwankenden Erkenntnissen, Prognosen und Beschlüssen, vom Stolpern von einer Ausnahmesituation in die nächste. Wir sind Lockdown-müde in die Feiertage gegangen. Und genau so wieder aufgewacht.

Krisenzeiten sind Aufbruchzeiten

Dabei ist das, was wir gerade erleben, eine Zäsur. Krisenzeiten sind Aufbruchzeiten. 2020 hat uns kostbare Erkenntnisse und Perspektiven beschert. Zuvor scheinbar unverrückbare Gewohnheiten ließen sich schlagartig ändern. Im Kleinen konnten und können wir unseren Tages- und Arbeitsrhythmus selber gestalten, von Orten unserer Wahl den Job erledigen. Vieles läuft sogar schlanker, unkomplizierter als üblich. Im Großen leisten wir Erstaunliches, haben das Infektionsgeschehen vergleichsweise gut im Griff und halten die Wirtschaft am Laufen, Menschen in Arbeit. Und die meisten von uns setzen sich konstruktiv-kritisch mit der eigenen Zukunft auseinander. 

ifo-Geschäftsklima-Index für Architekturbüros: verhalten-vorsichtig aber nicht übel.

ifo-Geschäftsklima-Index für Architekturbüros: verhalten-vorsichtig aber nicht übel.

2021 ist das Jahr, um etwas daraus zu machen. Für Unternehmer*innen wird es im besten Sinne aufregend, weil es sie strategisch fordert. Architekt*innen und Ingenieur*innen profitieren dabei von guten Voraussetzungen.

Was wir wissen I: Das Geld für Investitionen in Entwurf und Planung ist da

Trotz aller wirtschaftlichen Unwägbarkeiten der Pandemie-Folgen: Die Auftragslage gestaltet sich stabil. Gegenüber 2019 schwächte sich das Wachstumstempo bei den Ausschreibungen im Krisenjahr lediglich auf knapp fünf Prozent ab. Auch 2021 ist nicht mit einem Rückgang der Ausschreibungen von Planungsleistungen zu rechnen.

 

Zwar mahnt manch Konjunkturforscher zu Vorsicht, sagt Engpässe in einzelnen Bereichen wie dem Gesundheits- oder dem Gewerbebau vorher. In der Breite wird die öffentliche Hand jedoch weiter in Planungs- und Bauvorhaben investieren. 

Den wichtigsten Auftraggeber*innen ausschreibungsorientierter Planungsbüros, den Städten und Kommunen, geht es finanziell gut, bestätigt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, im BDA-Podcast. Der Ersatz der Ausfälle bei der Gewerbesteuer sowie weitere Unterstützungsleistungen von Bund und Ländern trügen dazu bei, dass die Lage stabil sei, Bau- und Investitionsprojekte wie geplant durchgeführt werden könnten.

 

Deutschland bleibt zudem einer der beliebtesten Märkte für Immobilieninvestitionen. Die Nachfrage nach “Betongold” bleibt hoch. Für den Gewerbe-Investmentmarkt etwa – ein Segment, das mit am stärksten von den wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns betroffen ist – sagen führende Immobilienmarktanalysten wie BNPPRE, Colliers International oder CBRE für 2021 einen Jahresumsatz von 55 und 60 Mrd. Euro voraus. Das entspricht dem Durchschnittswert der fünf Boomjahre 2015 bis 2019.

Was wir wissen II: Der Bedarf an neuen Konzepten und Planungen ist groß

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind sich einig: Es herrscht dringender Bedarf an Planung und Gestaltung. Im Bereich Verkehrs-, Bildungs- oder Wohnungsbau sowieso. Im Fokus der Politik stehen aber auch verstärkt Maßnahmen zur Wiederbelebung von Ortskernen.

Hallstadt, Oberfranken, 8500 Einwohner: ein Ort, in dem seit 2015 die neue "Marktscheune" von Schettler + Wittenberg Architekten mit Supermarkt, Café und Veranstaltungssaal dafür sorgt, dass es Menschen wieder in den Ortskern zieht.

Hallstadt, Oberfranken, 8500 Einwohner: ein Ort, in dem seit 2015 die neue "Marktscheune" von Schettler + Wittenberg Architekten mit Supermarkt, Café und Veranstaltungssaal dafür sorgt, dass es Menschen wieder in den Ortskern zieht.

Zudem hat der Lockdown Städten und Kommunen den Stellenwert des öffentlichen Raums vor Augen geführt. Parks erleben eine Renaissance. Die Verkehrswende ist keine hohle Formel mehr, sondern beschlossene Strategie deutscher Kommunen. Sie wird kommen und mit ihr neue Mobilitäts- und Nutzungskonzepte für unsere Innenstädte

Konzepte gefragt: Architekt*innen, Stadtplaner*innen und Ingenieur*innen gehören zu den Schlüsselfiguren des anstehenden Wandels.

Konzepte gefragt: Architekt*innen, Stadtplaner*innen und Ingenieur*innen gehören zu den Schlüsselfiguren des anstehenden Wandels.

Die Nachfrage am Wohnungsmarkt hält an, wir brauchen mehr Wohnungen auf weniger Raum, wir brauchen veränderte Konzepte für Büro- und Gewerbeimmobilien, wir brauchen in allen Bereichen flexiblere, nutzungsoffenere Lösungen. 

All das benötigt Gestaltung und Planung. Architekt*innen und Ingenieur*innen gehören zu den Schlüsselfiguren des anstehenden Wandels.

Was wir wissen III: Neue Flexibilität am Arbeitsmarkt

Unsere vierte Corona-Umfrage von Ende November/Anfang Dezember zeigt: Architekt*innen hadern immer häufiger mit dem Homeoffice. „Wir sind ein gestaltender Beruf – Interaktion ist da sehr wichtig“, sagt etwa die Landschaftsarchitektin Christiane Meßner von Kienleplan. Nun haben wir erlebt, dass Interaktion und Gestaltung auch digital geht. Wir haben erfahren, dass wir dadurch in vielerlei Hinsicht flexibler agieren und Zeit und Ressourcen sparen können. 

Homeoffice und Remote Work eröffnen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen noch nie gesehene Chancen und Freiheiten. Wer etwa kann heute allen Ernstes noch behaupten, dass man gute und verlässliche Arbeit nur im Büro und nicht auch von einem Co-Working-Space in einer anderen Stadt oder einem Vierseitenhof in der Uckermark aus leisten kann? 

Für einige competitionline-Mitarbeiter*innen gehen mit den neu geschaffenen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten Träume in Erfüllung.

Für einige competitionline-Mitarbeiter*innen gehen mit den neu geschaffenen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten Träume in Erfüllung.

Der Arbeitsmarkt wird nicht mehr der gleiche sein wie zuvor. Der Trend dahin, dass sich Büros bei Arbeitnehmer*innen bewerben müssen und nicht andersherum, wird sich beschleunigen. Wer als Arbeitgeber*in flexibel agiert, wird in Zukunft Vorteile im Wettbewerb um die besten Köpfe haben. 

Was wir wissen IV: Die Zukunft ist grün

„Im intelligenten, zukunftsfähigen Umgang mit dem Bestand liegt die zentrale Herausforderung in der Branche“, sagt die geschäftsführende Vorständin der DGNB, Christine Lemaitre. Ähnlich äußern sich fast alle unserer Gesprächspartner*innen, etwa BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Thomas Auer von Transsolar oder Christina Patz und Johanna Wörner von Architects for Future. 

2021 werden wir uns publizistisch stärker als zuvor mit dem Bauen im Bestand befassen. Bereits jetzt macht es circa zwei Drittel sämtlicher Ausschreibungen von Planungsleistungen aus. Und dieser Anteil wird weiter wachsen. Auch nachhaltiges und klimaneutrales Bauen hat sich vom Nischendasein längst zum geschäftsentscheidenden Megatrend entwickelt. 

Architects for Future – die Serie

Architects for Future e.V. (A4F) setzt sich für eine klimagerechte, ökologisch und sozial nachhaltige Bauwende ein, um zur Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5° beizutragen.

Gemeinsam mit A4F wird competitionline 2021 eine Artikelserie rund um die sieben Forderungen von A4F konzipieren und veröffentlichen:

  • Hinterfragt Abriss kritisch
  • Wählt gesunde und klimapositive Materialien
  • Entwerft für eine offene Gesellschaft
  • Konstruiert kreislaufgerecht
  • Vermeidet Downcycling
  • Nutzt urbane Minen
  • Erhaltet und schafft biodiversen Lebensraum

Bei beiden Themenkomplexen, Bestand und Klimaneutralität, geht es nicht nur um die Art und Weise, wie wir bauen und welche Materialien wir verwenden, sondern auch um eine andere Planungs- und Arbeitskultur, die Erfahrung und eine Haltung erfordert – interdisziplinärer, teamorientierter vom ersten Moment an. Wer sich jetzt entsprechende Expertisen und ein Netzwerk von verlässlichen Partner*innen aufbaut, wird vorbereitet sein, wenn die ersten Gesetzesvorlagen zur Kreislaufwirtschaft und der Bepreisung von Lebenszykluskosten kommen.

Hier schließt sich übrigens auch der Kreis zum Thema Recruiting: Büros, die ihre Chancen beim Werben um die besten Köpfe maximieren möchten, müssen sich die Frage stellen: “Was steuere ich selber zu den Herausforderungen unserer Zukunft bei? Wie baue ich? Was erwarten meine Mitarbeitenden von mir, wie ich baue?”

Mehr wissen, besser entscheiden

Was müssen Architekt*innen und Ingenieur*innen im Blick haben, um auch in Zukunft erfolgreich am Markt agieren zu können? Die Antwort lautet: die Konjunktur und Marktentwicklung, die Megatrends klimaneutrales Bauen und Digitalisierung, Recruitingstrategien und Führung sowie die rechtlichen und berufspolitischen Rahmenbedingungen unserer Branche.

In all diesen Themenbereichen werden wir Sie auch 2021 mit Daten und Fakten, Hintergrundberichten, Serviceartikeln, Interviews und Best-Practice-Beispielen informieren. Daneben beschäftigen wir uns auch mit aktuellen Fragen: Steht uns im Bürobau eine Auftragsflaute oder eine Auftragswelle des Umbaus und der Modernisierung bevor? Welche stadtplanerischen und -baulichen Lösungen gibt es für die neuen Anforderungen in den Bereichen Logistik, Mobilität, Nutzungsmischung, Freiraumplanung und Verdichtung in unseren Innenstädten? 

Wertvolle Hinweise dazu – und handfeste Inspiration für die eigene Entwurfsarbeit – liefern die im Schnitt fünf bis sechs Wettbewerbsergebnisse mit Plänen und Bildern, die wir täglich veröffentlichen. 

Gerade in Krisenzeiten nehmen disruptive Prozesse zu, die unsere Beweglichkeit und Vorausschau erfordern. Vieles um uns herum ist in Bewegung. Unternehmer*innen, schreibt der Ökonom und Journalist Henrik Müller im Spiegel, unterscheiden sich von anderen Menschen dadurch, dass sie sich auch in einem extrem unübersichtlichen Umfeld zurechtfinden und handlungsfähig bleiben. “Sie sind es, die in Phasen von Unsicherheit wie derzeit Leadership übernehmen.”

Auf Ihrem Weg, Zukunft zu gestalten, freuen wir uns darauf, Sie auch 2021 mit relevanten Informationen und inspirierender Berichterstattung dabei zu unterstützen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Ein gesundes und erfolgreiches Geschäftsjahr wünscht

Ihr Nicolai Blank
Chefredakteur

Was uns 2021 erwartet (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

2021 wird anders: Großbritannien ist nicht mehr Teil der EU. Mit den USA wird wieder als Partner zu rechnen sein, und uns aller Mutti verlässt die Bühne und macht eine ganze Generation junger Menschen, die nie eine andere Kanzlerin kannten, zu Vollwaisen.

Die sonst so gegenwärtige „Weltleitmesse“ BAU rauscht bereits diese Woche als Digitalveranstaltung an uns vorbei. Die Biennale in Venedig – zweimal verschoben und nun auf den 22. Mai datiert – wird vermutlich auch nicht zu retten sein.

Entscheidender ist da schon eher, dass mit dem 1. Januar die neue HOAI und ihr „Ermächtigungsgesetz“, das ArchLG, nunmehr das Urteil des EuGH in Sachen Architektenhonorare umsetzt. Fortan können Honorare frei verhandelt und gestaltet werden. Architekten müssen ihren Auftraggebern, sofern sie Verbraucher sind, vor Vertragsschluss in Textform gar darauf hinweisen, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln erzielten Werte vereinbart werden kann.

2021 ist Wahljahr: nicht nur im Bund (26. September), auch in acht Bundesländern finden Landtags- oder Kommunalwahlen statt.

Und in Berlin wird im Sommer das neue Präsidium der Bundesarchitektenkammer bestimmt. Die turnusgemäß für September 2020 angesetzte Wahl war wegen Corona mehrfach verschoben worden. Digital wollte man sie laut Bundesgeschäftsführer Tillman Prinz nicht durchführen, um der allseits geschätzten Noch-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann einen würdevollen Abgang zu gewährleisten und dem neuen Präsidium einen feierlichen Neustart zu ermöglichen.

Am 3. Juli ereilt Wattestäbchen, Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen und Luftballonstäbe aus Kunststoff sowie To-go-Getränkebecher, Fast-Food-Verpackungen und Wegwerf-Essensbehälter aus expandiertem Polystyrol (bekannt als Styropor) das Aus: Sie werden in Deutschland künftig nicht mehr erlaubt sein.

Im Herbst feiert die Deutsche Städtebauförderung 50-jähriges Jubiläum. Einen offiziellen Termin gibt es noch nicht. Aber das Thema Stadtumbau/Stadtgestaltung wird das Jahr in vielen Formaten bereichern.