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Award / Auszeichnung | 05/2024

Otto-Borst-Preis 2024 für Stadterneuerung

Wohnbebauung Schlossquartier Kiel

DE-24103 Kiel, Schlossstraße

Preis | Kategorie: Quartier

Schnittger Architekten+Partner

Architektur

NGEG Norddeutsche Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH

Bauherren

bbp : architekten bda

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Wohnungsbau

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2019

Projektbeschreibung

Im Herzen der Kieler Altstadt entstand nach den großflächigen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs im Bereich des heutigen Schlossquartiers eine unattraktive Straßen- und Parkplatzfläche, die allein dem zunehmenden PKW-Individualverkehr diente. Wo früher von Stadtmauern umgebene Häuser zahlreichen Menschen Wohnraum boten, entstand hier eine asphaltierte Freifläche, die den stadträumlichen Zusammenhalt der Innenstadt zerstörte und das Kieler Schloss von der restlichen Stadt trennte. Im Zuge des Strukturwandels der Innenstädte drohte den ein- bis zweigeschossigen Zweckbauten am Rande der Parkplätze zunehmend Leerstand. Die freien Flächen wurden zu einem großen Teil von kurzlebigen Diskotheken besetzt und begünstigten die Ausweitung des Rotlichtviertels in Richtung des historischen „Alten Markts“. Diese prekäre städtebauliche Situation war für das Kieler Büro Schnittger Architekten+Partner Anlass, die historischen Bezüge zu ergründen und in Form einer Projektentwicklung den Vorschlag zu unterbreiten, die ehemalige Straßenachse mit einer für eine Altstadt typischen Dichte wiederherzustellen. Grundlage für die baukörperliche Ausprägung im Charakter einzelner Stadthäuser waren historische Ansichten der Schlossstraße, in denen eine vergleichbare Anordnung ablesbar war. Durch den Rückbau des oberen Teils der Eggerstedtstraße, die Wiederherstellung der historischen Fischerstraße und die Anlehnung an das historische Bauvolumen, kann man diesem Projekt den Charakter einer Stadtreparatur zusprechen. In der großen Baumasse wurde durch eine filigrane, moderne Fassadengestaltung in Detail und Farbgebung die Unterteilung in einzelne Häuser als gestalterisches und konzeptionelles Element sichtbar gemacht.

Das 1899 in Kiel gegründete Büro Schnittger Architekten+Partner konnte die Norddeutsche Grundstücksentwicklungsgesellschaft NGEG für die Planungsidee begeistern, welche in einer Kooperation mit der ABG Unternehmensgruppe Hamburg das Gesamtprojekt realisierte. Die Bruttogeschossfläche von 34.930 m² beinhaltet 213 Wohneinheiten, von denen 130 Eigentumswohnungen und 83 Mietwohnungen sind. Für die Umsetzung wurde ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt, welcher nach Durchführung eines architektonischen Fassadenwettbewerbs zur weiteren Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Kiel ansässigen Büro bbp : architekten bda führte. In dem Quartier entstand eine interessante Mischung aus unterschiedlichen Wohnungstypologien und diversen Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss. Mit dieser neuen Mischung gehört das Schlossquartier zu einem der Impulsprojekte zur Wiederbelebung der durch Mononutzung entvölkerten Kieler Innenstadt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Bei der Stadtrekonstruktion Schlossquartier Kiel wird der Stadtblock zwischen Flämischer Straße und Schloss so verlängert, dass er zwei neue kleine Innenhöfe umschließt, sowie ergänzt um ein frei im Stadtraum stehendes großes Haus, als vom Block quasi „abgesprengter“ Fortsatz. Durch Block und Haus wird die Schlossstraße zusammen mit dem gegenüberliegenden Stadtblock als Korridorstraße rekonstruiert und so verlängert, dass sie in den Schlossplatz präzise einmündet. Ebenso entsteht durch das Absetzen des Blocksplitters die Fischergasse neu. Nach Süden und Norden arbeiten Blockverlängerung und Splitter den Nikolaikirchhof und den Schlossplatz stadträumlich klar heraus. Dadurch verschwindet das unhistorische und schwer lesbare Raumkontinuum des städtebaulichen Nachkriegsprovisoriums mit Parkplatz und niedriger ergänzender Bebauung, das vorher beide Orte ineinander übergehen ließ; zumal das Schloss durch den offenen windmühlenflügelartigen Wiederaufbau modernistisch dekonstruiert ist.

Über einer gemeinsamen Tiefgarage entstanden über 200 Wohnungen und durchgehend Gewerbe in den Erdgeschossen in einer kleinteiligen Bebauung, die der historischen Parzellenstruktur folgt. Dies wird durch unterschiedliche Fassadenbilder, verspringende Geschoss- und Attikahöhen, wechselnde Ziegelfarben und -ornamentik und plastisch vorspringende Loggien-Erker unterstützt. Mit dem einheitlichen Baumaterial Ziegel als ästhetischer Klammer entsteht in den nach aktuellen Bauverhältnissen so kleinteilig wie möglich ausgebildeten Fassaden eine Mehrschichtigkeit mit Licht und Schatten sodass ein lebendiges Straßenbild „als Vielfalt in der Einheit“ entsteht. Die Fassaden sind durchgehend ruhig vertikal, aber asymmetrisch gegliedert und versuchen damit, zumindest die Struktur dort ehemals vorhandener gründerzeitlicher Architektur anklingen zu lassen. Mit diesen Fassaden werden die wichtigsten historischen Plätze in Kiel neu geformt, ja, sie entstehen überhaupt erst dadurch wieder. Besonders das Eckhaus an der Schlossstraße zum Nikolaikirchhof ist sehr gut gelungen. Mit den attraktiven Wohnungen wird der Ort der Altstadt wieder durchgehend belebt. Dabei werden die im urbanen Milieu eher konfliktträchtigen halböffentlichen Freisitze dieses neuen Wohnens geschickt in Loggien-Erkern oder fassadengleich eingebunden. Die Läden in den Erdgeschossen schaffen im Übergang vom Markt zum Schloss das unbedingt notwendige Gegengewicht zum Wohnen.

Es entstand ein urbanes Wohnquartier, das den desolaten Stadtraum des stark zerstörten und bisher an dieser Stelle nicht wieder aufgebauten Stadtkerns geheilt hat, was nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Nutzungen tragen in sehr guter Qualität zur Stabilisierung des alten Zentrums bei. In der Schaufassade des Blocksplitters zum Schlossplatz wird das Anliegen deutlich, die Wohnnutzung in den Hintergrund treten zu lassen, um an dieser für die Öffentlichkeit bedeutenden Stelle (Übergang von Markt und Nikolaikirchhof zum Schlossplatz) die notwendige Balance zu wahren. Das modernistisch etwas entfremdete Schloss hätte hier durch eine neutralere Architektursprache noch stärker eingebunden werden können. Das betrifft auch die außerhalb der Loggien durchgehend eingesetzten bodentiefen Fenster, die sehr viel Privatheit verströmen und örtlich untypisch sind.

Ein insgesamt überdurchschnittlich gelungener und mutiger Ansatz, der im historischen Herzen der Landeshauptstadt, obwohl die Bebauung noch der Moderne nachhängt, ein luftiges und angemessen kleinteiliges Quartier schafft, das ein Musterbeispiel der dreifachen Innentwicklung vorführt: integrierte Neuordnung der Mobilität, qualifizierte öffentliche Räume und neue Nutzungsangebote gehen Hand in Hand. Man wäre froh, wenn es immer so gelänge.
Wohnbebauung Schlossquartier Kiel

Wohnbebauung Schlossquartier Kiel

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