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Städtebaulich-landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb mit Ideenteil | 04/2024

Experimentierräume nachhaltiger Stadt- und Quartiersentwicklung in Wiesbaden-Klarenthal

Visualisierung 01

Visualisierung 01

3. Preis / Realisierungsteil

Preisgeld: 9.000 EUR

raumwerk Gesellschaft für Architektur und Stadtplanung mbH

Stadtplanung / Städtebau

BIERBAUM. AICHELE. landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext


Mit dem Wettbewerb hat die Stadt Wiesbaden den früheren Schulstandort der Carl-von-Ossietzky-Schule als »Experimentierraum« für die Themenfelder »lebendige Stadt«, »klimaoptimiertes Stadtgrün» und »Neue Mobilität« ausgewählt. Das Wettbewerbsgebiet ist durch weitläufige Grün- und Spielflächen mit teilweisem altem Baumbestand sowie durch das ehemalige Schulgebäude mit seinen charakteristischen, wabenartigen Formen geprägt.

Das städtebauliche Leitbild unseres Entwurfs leitet sich aus der Ernst May Siedlung mit ihrer in Nord-Süd-Achse verlaufenden charakteristischen Zeilenbebauung ab. Auch die Neuplanung sieht eine Zeilenbebauung vor, welche nicht gradlinig, sondern entlang des Wabenrasters des Bestandsgebäudes verläuft. Der Bestand wird damit in Bereichen behutsam rück-, weitergebaut und ergänzt, sodass über die Jahre gewachsene identitätsstiftende Orte, wie das „Wäldchen“, der „Hügel“ und das Bestandsgebäude, sowie die gewachsene Botanik weitgehend erhalten werden können. Für das Konzept ergeben sich drei signifikante Freiraumtypologien, die herausgearbeitet, besser erlebbar und stärker mit der Umgebung vernetzt werden sollen. Die östliche Wildnis mit Wäldchen und Dickichten, die lebendige und terrassierte Mitte und der westlich rahmende grüne Hang. Eine zentrale Ost-West-Verbindung wird zukünftig das Quartier mit einer barrierefreien Erschließung über den Hang mit den angrenzenden Gebieten verknüpfen. Entlang der neuen Quartierspassage ordnen sich vielfältig programmierbare Freiraumtypen an. Den Auftakt bilden jeweils kleine platzartige Aufweitungen, die eine klare Eingangssituation schaffen. Sodann spannt sich der Freiraum zu einer parkartigen Mitte auf, dessen Zentrum ein nutzungsoffener Platz darstellt, der zum freien Spiel, Fußballspielen, Festen o.ä. einlädt. Von diesem Verteilplatz erreicht man über eine großzügige Treppenanlagen mit Sitzstufen die nördlich gelegene Quartiersterrasse. Sie bildet im Zusammenspiel mit der transformierten Gebäudestruktur der alten Schule und dem Neubau den Nukleus des neuen Quartiers.
An den Rändern finden die AkteurInnen Flächen zur freien Aneignung, als Treffpunkte und Begegnungsorte. Eine zentrale platzartige Freifläche, die ähnlich der unteren Ebene frei bespielt werden kann, hier aber eher von Strukturen des Experimentierens und von Gewerbe genutzt wird, dient als zentraler Anger. Gerahmt wird das Quartier östlich von einem erhaltenswerten Baumbestand, der sich mit der Zeit schon zu einer urbanen Wildnis entwickeln konnte. Hier ist die inhaltliche Fokussierung auf naturnahes Spielen, Artenvielfalt, Regenwasserversickerung, Insektenweide, Brut- und Nistplätze gerichtet. Ziel ist es hier durch eine stegartige Erschließung nur minimalinvasiv einzugreifen, damit zum einen die Grünstrukturen nicht beschädigt werden und die Aneignung, die sich durch die NutzerInnen mit den Jahren entwickelt hat nicht gestört, das Gelände aber für jeden erlebbar wird. Um diese ökologische Zone noch weiter aufzuwerten, wird das Regenwasser der Frei- und Dachflächen in dieses Gebiet geleitet, so dass hier ein wechselfeuchtes Biotop entstehen und über den Naturpfad erlebt werden kann.


Beurteilung durch das Preisgericht

Die gewinkelten Zeilenbauten greifen die Siedlungsstruktur der Ernst-May-Siedlung auf und bilden spannungsvolle Raumkanten. Die diagonal verlaufende Bebauungsstruktur schafft zwei identitätsstiftende Landschaftsräume: Während im Südosten ein von starkem Baumbestand geprägter Naturraum mit großem ökologischem Potential entsteht, ist der Westen von unterschiedlichen Raum- und Nutzungsfolgen geprägt. Im Norden befindet sich zwischen dem Bestandsbau und der neuen Gebäudezeile ein öffentlicher,
multifunktionaler Außenraum, der durch gemeinschaftliche Nutzungen bespielt wird und damit eine Belebung zu allen Tages- und Wochenzeiten erwarten lässt. Geschickt wird die Hangkante nach Süden verschoben, sodass die »aktive Quartiersmitte« mit einer großen Treppenanlage an den höher gelegenen Bereich angeschlossen wird. Hier treffen die weitergeführten Quartiersachsen aufeinander und werden durch den gewinkelten Zeilenbau räumlich gefasst. Die von Nordwesten abfallende Topografie bereichert
mit ihrer landschaftlichen Wirkung die unterschiedlichen Raumfolgen des westlichen Freiraums.

Die geplante 5 bis 6-geschossige Zeilenstruktur bietet das Potential für eine ökonomische Umsetzung der geplanten Wohnstrukturen. Sie ermöglicht trotz vergleichbar hoher Nutzfläche große Außenräume. Die Kaltluftabflussbahnen und Ventilationsachsen wurden weitestgehend berücksichtigt, auch das Sperberareal bleibt erhalten.

Alles in allem stellt die Arbeit einen interessanten und selbstverständlich wirkenden städtebaulichen Beitrag dar, der mit seinen vielfältigen Raum- und Nutzungsfolgen hohe soziokulturelle Qualitäten ermöglicht. Die geringe und teilweise unvollständige Bearbeitungstiefe erschwert jedoch eine fundierte Bewertung von Nutzungskonzept, Erschließung, Wohnungsvielfalt und Wohnqualität. Durch die Auslagerung der Parkflächen auf Bereiche außerhalb des Planungsgebietes bleibt zudem eine wesentliche Planungsaufgabe ungelöst.

Im Ideenteil wird das Bestandsgebäude nur als Segment erhalten, wodurch der identitätsstiftende Charakter des landschaftlichen Bestandsgebäudes verloren geht und auch die graue Energie des Bestandes nur partiell weitergenutzt wird. Zudem ist das Problem der Gebäudetiefen und damit von realistischen Nachnutzungen nicht gelöst. Eine zweigeschossige Aufstockung führt die Kubatur des Bestandes fort und soll mit Clusterwohnen belegt werden. Die verspringenden Kleinwohneinheiten mit ca. 9 Metern Tiefe deuten auf sehr problematischen Nutzungssituationen hin. Auch die Nutzung des südlichen Bereiches im EG und UG als Kita ist schematisch dargestellt. Im UG sind die Gruppenräume nach Süden ausgerichtet. Der daran anschließende verbindende Flur- und Gemeinschaftsbereich ist hierdurch jedoch von einer ausreichenden Lichtquelle weitestgehend abgeschieden und kann daher seine Funktion nicht ausreichend erfüllen. Die Nutzung des nord-westlichen Bestandes mit seinem Innenhof erscheint sinnvoll, die
Erschließung und damit die Anbindung an die für eine Markthalle nötige Öffentlichkeit ist jedoch nicht dargestellt.
Lageplan

Lageplan

Grundriss

Grundriss

Visualisierung 02

Visualisierung 02

Piktos

Piktos